Übergänge im Leben
Ein gewöhnlicher Mittwoch im September 2017, Mittagszeit. Das schäbige Nest Guabito in Panama stöhnt wie die ganze Gegend unter tiefhängenden Wolken, die eine brütende, feuchte Hitze stauen. Reisende, mit der Hoffnung auf Sonne und neue Abenteuer, trudeln ein an der kleinen Station am Rio Sixaola, dem Grenzfluß zu Costa Rica. Ein Grenzübergang, wie es viele gibt in der Welt der Traveller.
Der klapprige Überlandbus spuckt die vor Tropensturm und Dauerregen Flüchtenden aus wie Gestrandete. Ohne Worte weist der Fahrer auf einen gelblich-verwaschenen Flachdachbau in einiger Entfernung, davor ein vergitterter Schalter und eine Menschenschlange. Anstehen, Ausreisestempel, unnahbare Uniformierte mit starren Gesichtern weisen die Richtung. Es geht zwischen Bretterbuden
hindurch, dann 500 Meter über eine Brücke. Immerhin ist sie neu und stabil, nicht so wie die alte verrottete, die aus praktischen (weniger aus nostalgischen) Gründen einfach stehenblieb. Das Gefühl von ‚Niemandsland‘ beschleicht die Reisenden, sie laufen schweigend, einzeln und eilig. Unter ihnen brodelt ein schlammiger, unratgeschwängerter, durch den Regen mächtig angeschwollener Fluß.
Hier sollte einem nichts passieren. Wer würde einen da herausfischen, wer würde sich überhaupt zuständig fühlen? Am jenseitigen Ufer an den aufgeweichten Uferbänken wild zusammen geschusterte Behausungen (ein sonderbarer Ort zum Wohnen). Durch eine Gasse fliegender Händler und zwielichtiger Gestalten schlängelt sich der schmutzige Weg bis zu einem ähnlichen Gebäude mit
den typischen schwarzen Schlieren tropischer Regenzeiten. Wieder anstehen (andere waren schneller), es wird geprüft und gefilzt: verdächtige Stempel im Reisepaß, Rückflugticket, 500 US Dollar in bar, Koffer und Rucksäcke ohne verbotene Inhalte. Am Rondell sammelt ein nun Costa-Ricanischer Bus mit gleicher Abnutzung die Neuzugänge ein. Tickets gibt es für harte Dollars, eine
Bank hat erst der nächste größere Ort, Falschgeld ist in Umlauf. Langsam verliert sich das diffus beklemmende Gefühl, das (Grenz-)Übergängen so anhängt. Die Stimmung lockert auf, aus der Meute schälen sich wieder Einzelreisende heraus mit ihren Plänen für das neue ‚Land der Verheißungen‘ (laut Reiseführer). Ach, wären doch alle Übergänge im Leben so überschaubar.
„Alles ist nur Übergang. Merke wohl die ernsten Worte: Von der Stunde, von dem Orte treibt dich eingepflanzter Drang. Tod ist Leben. Sterben Pforte. Alles ist nur Übergang“ (Alte Brückeninschrift von unbekanntem Autor in Wien).
Übergänge gehören zum Leben dazu
Viele Übergänge in unserem Leben sind vorhersehbar, planbar und noch dazu gewollt, wie die eigene Hochzeit und die Geburt des Wunschkindes, der Einstieg in einen echten Karrierejob oder der Ausstieg in den ersehnten Ruhestand. Andere Übergänge passieren an notwendigen, magischen oder auch schwierigen Wendepunkten des Lebens. Es gibt kein Dasein ohne solche Phasen und kritischen Momente. Da helfen keine Verdrängung, keine Verweigerung oder Ausweich-manöver, kein Geldbeutel und keine Pillen (eine, wie ich finde, tröstliche Form seelischer Gerechtigkeit).
Doch „unsere Zeit, rasch und weitaussehend, verschmäht die Übergänge; die Übergangspunkte aber sind die Lebenspunkte“, sinnierte der österreichische Arzt und Essayist Ernst von Feuchtersleben (1806-1849). Er als Mitbegründer der Psychosomatischen Medizin, der auch den Begriff der „Psychose“ prägte, kannte vielfältige Folgen ungelebter Übergänge und verweigerter Auseinandersetzung mit den Aufforderungen des Lebens, weit dramatischer oft als im Sinne des berühmten Gedichts „Stufen“ von Hermann Hesse (1877-1962): „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“
Ja, wir möchten manchen Übergang gerne vermeiden, wegen seiner Unbequemlichkeiten und Unwägbarkeiten. Sogar positive Ereignisse können verunsichern. Das zeigen zumindest Studien aus der sogenannten „critical incident“- Forschung: Die Geburt eines Kindes kann ein Leben so gehörig auf den Kopf stellen, daß Eltern an den Rand der Verzweiflung geraten. Manche Übergänge erzeugen gar existentielle Angst – wie der letzte von allen. Aus der frohen Verlockung der Israeliten am Grenzfluß Jordan mit Blick auf „das Land der Verheißung, wo Milch und Honig fließen“ (Genesis 13,14 f.) haben wir bezeichnenderweise das Sprichwort „über den Jordan gehen“ gemacht. Ironischerweise stimmt es dennoch, ist doch jeder Übergang ein (kleiner) Tod im Leben.
Kraft der Erneuerung durch Übergänge
Seit Urzeiten wussten die Priester, Lehrer und Weisen aller Völker von dieser leidigen bis bedrohlichen Unvermeidbarkeit. Aber auch von der Kraft der Erneuerung durch Übergänge – wenn sie denn mit tiefem Wissen und geschickt gestaltet werden. In aufwendigen Zeremonien wurde und wird noch immer den großen Übergängen Geburt, Hochzeit und Tod ein emotional berührender Rahmen gegeben, um am kritischen Punkt des Übergangs Identität und Gefühle der Beteiligten ‚auf die andere Seite‘ zu transportieren. In Naturvölkern werden auch die eher leisen, weil längeren, Übergangsphasen wie Pubertät, Schwangerschaft, Menopause oder die Hinarbeitung auf eine tragende Rolle in der Gemeinschaft zu markanten Punkten des Wandels. Jugendliche geben ihren Kindheitsnamen ab, bekommen die Haare gestutzt und werden ihrer Kleidung entledigt, um nackt im
wahrsten Sinne in eine Zwischenunterkunft geleitet zu werden, in der sie in monatelangen Schulungen mit anschließender (Mut-)Prüfung auf ihre neue Rolle als Erwachsene vorbereitet werden. Wir kennen solche mittels Symbolen stark untermauerten Übergangsriten aus den Weihungen auf einem geistlichen Weg, aus Einweihungszeremonien auch von weltlichen Zirkeln. Leider sind solche Impulse für die schleichenden Phasenübergänge wie in der Adoleszenz aus unserer
modernen Kultur mehr und mehr verschwunden. Sie würden uns (unter Verzicht auf romantische Verklärung, wie bei den modernen Babypartys) die Bedeutung von Wandel und Wachstum im Leben wieder verdeutlichen und die jeweils damit einhergehenden Aufgaben klarer erscheinen lassen. Manche Adoleszentenkrise oder Midlifecrisis könnte gewinnen, als wirkliche Auseinandersetzung mit
dem Wiedererstehen als „Phoenix aus der Asche“.
Übergänge bringen Turbulenzen mit sich
In Krisen wird Krisenkompetenz benötigt – wohl der Person, die hier schon Erfahrung hat. Bei plötzlichen psychischen Krisen und Lebensbrüchen durch Todesfälle, Unfälle oder schwere Erkrankungen, Trennung, Arbeitsplatzverlust oder Insolvenz sind wir meist kaum vorbereitet, oft erst einmal geschockt. Nur eines erkennen wir sofort: Nie wieder wird es so sein wie zuvor. Das bisherige Leben ist ausgehebelt, die ruhig voranschreitende Zeit scheint für einen Moment still zu stehen, als wenn wir Luft holen sollen für die Turbulenzen, die der Übergang mit sich bringt. Konfrontiert mit Schmerz, Verunsicherung, unüberschaubaren neuen Situationen und Aufgaben sind Zeiten des Innehaltens und der Besinnung notwendig. Wir müssen Kraft sammeln und die Richtung finden für notwendige Klärungen und Entscheidungen, für’s Abschiednehmen und die manchmal lange und einsame Suche nach einem wieder Sicherheit und Geborgenheit versprechenden Lebensgefühl.
‚Über-Gang‘ bedeutet aktives Überschreiten einer Grenze oder Durchschreiten eines schwierigen Gebietes, bei der ein Mensch aus dem dahinfließenden Alltag herauskatapultiert wird, an seine (bisherigen) Grenzen stößt. Dieser Gang ist eine Konfrontation mit unserer archaischen Angst vor dem Unbekannten. Wir sollen Eigenverantwortung übernehmen für die Kernfragen unseres Lebens. So bescheren Herausforderungen in Krisen etwas qualitativ anderes als eine ‚Transitzone‘ am Flughafen, es ist ‚Transformation‘ des ganzen Menschen. Selten fühlen sich Menschen so allein, so ratlos und überfordert wie an Übergängen, die sie in noch unbekanntes Land führen werden.
Innere Kräfte aktivieren
Nicht nur Survival-Künstler in Doku-Soaps und Helden in Spielfilmen wissen um die starken Kräfte in unserem Inneren. In den vor- und unbewußten – weil bisher unentdeckten – ‚Kellern‘ unserer Psyche warten auch schier unendliche Möglichkeiten, aus Not Gelegenheit zu machen und über sich hinaus zu wachsen. Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen kennen das lebhaft aus eigener Erfahrung. In Selbsthilfegruppen treffen sich Zeugen aller drei Phasen eines Übergangs: Solche am Ende eines bisherigen Weges, die noch unentschlossen sind, solche schon länger im ‚Niemandsland‘ mit seinen Turbulenzen, und solche, die angekommen sind und ihr neues Leben gestalten.
Werden wir konfrontiert mit schon lange geahnten inneren Wahrheiten oder bisher nicht vollzogenen Wachstumsschritten und lassen die Impulse wirken, so entwickeln sich auch die Fähigkeiten, wie sie gebraucht werden. Wer fordert, der fördert. In Selbsthilfegruppen, in ambulanten oder stationären Psychotherapien erleben wir diese Menschen, die ihre bisherigen Wenn‘s und Aber‘s hinter sich lassen und mit Mut und Glaube an sich selbst die Entscheidungen treffen, die vor der Krise nicht vorstellbar schienen. Im besten Sinne ist der Übergang nun Höhepunkt einer ‚Heldenreise‘, ein altes und wieder modernes Wort. Märchen und Mythen, Opern und Dramen lieben diese Motive wegen der Dramatik, häufig dargestellt als Brücke über einen tosenden Fluß, als steiler Gebirgspaß oder Abgrund, als furchterregendes riesenhaftes Tor, das durchschritten werden
muß, als endlos scheinende Ödnis, Irrgarten oder dunkler Wald, die trotz lauernder Gefahren zu durchqueren sind, weil die Lösung auf der anderen Seite liegt.
Eine Wegstrecke mit drei Phasen
Doch was markiert die Grenzen zwischen hier und drüben? Bei Abhängigkeits-erkrankungen zum Beispiel bedeutet die sogenannte ‚rationale Akzeptanz‘ einer Erkrankung noch lange keine ‚emotionale Akzeptanz‘, ist doch ein erster großer Fortschritt auf dem Weg und ein Meilenstein, der die Richtung weist. In Phase I, am Ende des bisherigen Weges, liegt die größte Gefahr darin, sich ganz schnell in Phase III – ein neues Leben – hinüber zu wünschen und ‚zu tun als ob‘. Wer den Weg durch das ‚Niemandsland‘ von Phase II scheut, wird seine Entscheidung zur Abstinenz täglich durch Disziplin und Wachsamkeit sichern müssen. Doch Disziplin als schierer Kraftaufwand verbraucht sich, wenn nicht diese Kraft aus anderen Quellen wieder aufgetankt wird. Die Abstinenzentscheidung kann der Startpunkt für Phase II sein, muß es aber nicht. Es „verstanden“ (Verstand) zu haben, bedeutet noch
nicht, es mit allen Sinnen als tiefe verändernde Erfahrung „begriffen“ zu haben. Phase II beginnt manchmal laut mit einem Knall, manchmal leise mit der Erkenntnis, sich Beulen an immer derselben Wand zu holen.
Mut zur Wahrheit – Zulassen und Loslassen
Diese sonderbare Phase II, die keinen Namen kennt (‚Niemandsland‘) birgt Rätsel und Gefahren. Jetzt geht es um Mut zur Wahrheit, um Zulassen und Loslassen. Unbestimmte plötzliche Gefühlsschwankungen, diffuse Identität, immer neue Fragen und fehlende Antworten verleiten manche zum unguten Rückzug in Regression, Opferhaltung oder Selbstanklage, einhergehend mit unerquicklichen Grübelphasen, langen Flauten oder Rückfällen. Da würde man gern umkehren, wäre nicht der Weg zurück verschlossen oder zumindest genau so weit wie der Weg nach vorn. Ernüchternde Erkenntnisse und auch äußere Konfrontationen tauchen auf, die an den Grundfesten von Weltbild, Werten und Regeln, Gewohnheiten und mancher Illusion rütteln, von materiellen (Schein-) Sicherheiten und eingerosteten Beziehungen ganz zu schweigen.
Es lohnt sich, hier eine Zäsur zu setzen, innezuhalten und Zeit für Biographiearbeit zu investieren, zum Beispiel einen ausführlichen Abschiedsbrief an sein bisheriges Leben oder die Krankheit zu schreiben. Was sind die roten Fäden, die mich zu der Person werden ließen, die ich heute bin? Was ist das Geheimnis hinter dem Offensichtlichen in meiner Lebensgeschichte, auf das mich Krankheit oder anderes Unheil eindringlich hinweist? Und welche Aufgaben wird meine eigene ‚Heldenreise‘ mir präsentieren, vor denen ich ‚Manschetten‘ habe? Vielleicht ist ein schmerzhafter Abschied noch zu vollziehen, sind schwelende Dauerkonflikte zu klären, ist vieles zu verzeihen, vielleicht fehlt der Mut für eine Entscheidung zur Freiheit?
In uns ist mehr Kraft als wir glauben
„Du hast das Recht auf Zweifel“, meinte Peter E. Schumacher (1941-2013), Publizist und Aphorismensammler, „aber Zweifel können immer nur eine Art Übergang sein, quasi mit Brückenfunktion. Das Vertrauen zu dir selbst läßt dich über jede Brücke gehen, das Zweifeln an dir selbst läßt jede Brücke unter dir einstürzen.“ Wie aber kommen wir zu diesem, uns sicher über alle Abgründe vorwärts tragenden, Selbstvertrauen, wenn in seinem Mangel doch vielleicht unser größtes Problem liegt? (Ich gebe zu: Auf der Brücke über den Rio Sixaola war ich froh über die stabile
Stahlkonstruktion).
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, daß wir über alle Massen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die wir am meisten fürchten ...“. Mit dem Gedicht „Angst“ (Marianne Williamson) rüttelte Nelson Mandela 1994 in seiner Antrittsrede das lange unterdrückte Volk auf und führte das Land ohne ernsthaften Bürgerkrieg in eine neue Zeit. Doch der Weg zum wirklichen Erfahren des eigenen Lichts führt zunächst in die Dunkelheit hinein, zu Gefühlen von Kleinheit und Machtlosigkeit, Schmerz, Schuld und Versagen. Die inneren Dämonen müssen besiegt werden, so wie das „tapfere Schneiderlein“ seine Riesen ausbotet. Im Nachhinein zeigen sich dann oft mehr imaginierte als reale Schreckgespenster und manches Rätsel ist keines mehr, wenn wir Schicht für Schicht zur inneren Wahrheit finden. Als hätten wir alles irgendwie schon gewußt, oder warum denken wir oft später: ‚Es mußte so kommen?‘ Wer sich in dieser Phase zu sehr beeilt, übersieht manches und verpaßt Gelegenheiten. Es wird ihm später erneut präsentiert, Rückfälle und Mißgeschicke schleichen sich durch eine Hintertür hinein, der Prozeß verliert an Kraft in Flauten und auf Nebenschauplätzen.
Unterstützung und Zeit zur Besinnung
Unterstützend in Phase II sind der offene und ehrliche Austausch mit Gleichgesinnten und die Unterstützungangebote von Weggefährten. Sie halten Spiegel vor, zeigen Irrtümer und Irrwege auf, ermuntern in düsteren Phasen und inspirieren zum Ausprobieren. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen, einsame Spaziergänge und Pilgern machen, wach für den Augenblick, erlauben, sich selbst nahe zu kommen. Starke Vorbilder, kluge Literatur und ebensolche Berater erweitern den Horizont der denkbaren Möglichkeiten. Vielleicht kommt der Impuls, das eigene Dasein auch praktisch zu ‘entrümpeln‘, das Haus vom Dachboden bis zum Keller zu sichten und zu ordnen, vieles zu verabschieden und zu erneuern. Wichtige Menschen in Familie und Freundeskreis oder am Arbeitsplatz sind einzubeziehen, wir leben schließlich in Netzwerken. Manchmal ist eine Psychotherapie unumgänglich, die bei der Suche nach der inneren Wahrheit und dem Bestreiten der Kämpfe begleitet. Wer die Chance hat, nimmt sich eine Auszeit im alltagsfernen Schutzraum einer Klinik. Moderne therapeutische Zeremonien können Klarheit bringen. Anleitungen und Gelegenheiten finden sich zum Beispiel unter Stichworten wie Familien- und Systemaufstellungen, auch „Ritual“, „Feuerlauf“ oder „Schwitzhütte“, wem das eher zusagt. Überhaupt sind Wasser (Gefühle auftauen, sich reinigen, Loslassen) und Feuer (Entschlußkraft, Zorn, Zerstörung und Auferstehung) die Elemente großer Übergänge.
Im entscheidenden Moment der größten Krise zeigt sich der wahre Übergang mit bisher vermiedenen Erkenntnissen oder Herausforderungen: „Der Kopf sucht, wo das Herz findet“ (Andreas Tenzer). Hier gilt es höchsten allen Mut zu haben sammeln, sich scheinbar in den Abgrund fallen zu lassen, um zu bemerken, daß sich in dem Moment die eigenen Flügel ausbreiten. Sobald wir den Übergang geschafft haben, fließt wunderbare neue Energie, heitere, fast überschäumende Zuversicht breitet sich aus. Beflügelt von dem Gefühl, endlich das eigene Leben wirklich zu ‚besitzen‘, dürfen wir uns auch wie neu geboren fühlen.
Das Neue begrüßen
Jetzt ist es Zeit für Phase III. Mit neuer Klarheit und einem erstarkten Selbstvertrauen würden wir gern sofort loslegen – doch noch einmal Halt. Wer kann in einem engen Zirkel bisheriger Erfahrungen neue Ideen finden? Also erst einmal umschauen auf der Suche nach Information und Inspiration. Vielleicht schreiben Sie einen Begrüßungsbrief an Ihr neues Leben und suchen sich ein Vorbild und in Kraftsymbol für Ihre gewagteste Zukunftsvision. Warum sollte sie nicht Wirklichkeit werden? Die Schranken sind im Kopf – das haben wir schon mal gehört. Wieder ist Lernen angesagt, erste neue Schritte sind noch keine Meisterschaft. Wir sind sozusagen wieder Anfänger. Eine schöne Übung, die den Geist über einen weiten Horizont fliegen läßt, heißt „Lebensrückblick mit 90 Jahren“. Die Geschichte bis heute kennen Sie schon. Aber wie geht sie weiter und wie wollen Sie eines Tages gelebt haben?
Schlußwort
In unserer Kultur klebt an Übergängen oft die Melancholie von Verlust – Verlust der verspielten Kindheit mit dem ersten Schultag, Verlust der Unbeschwertheit der Jugend mit dem Berufsbeginn, Verlust der Freiheit mit der Hochzeit und als ständiges Damoklesschwert in (fast) jeder reiferen Lebensphase Verlust an Attraktivität und Gesundheit mit dem Älterwerden. Betonschwer wartet
zuletzt das Alter (und das Altersheim) mit Fremdbestimmung, Langeweile und Plagen. Doch um noch einmal Hermann Hesse zu hören: „Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.“ Das menschliche Gehirn kann ungeheuer kompensieren und bis ins höchste Alter dazulernen. Erst im Nachhinein mit Abstand erkennen wir, wieviel Sinn ein Übergang gemacht
hat. Er hat uns nicht verarmen lassen, nein, er hat Pforten geöffnet und uns reich beschenkt. Es ist etwas gegangen, aber wir haben an Bewußtheit und Reife, mit Mut und Lust neue Spielräume, Menschen, Aufgaben und Sinn gewonnen. Ja, „des Lebens Ruf an uns wird niemals enden“ (Hermann Hesse). Nehmen wir die Einladung an?!