Single-Leben und Inneres Kind

Singles (oder „Alleinstehende“ – wie es in Statistiken und im Steuerrecht heißt) sind keinesfalls ein modernes Phänomen und schon gar kein seltenes. Trotz der inzwischen enormen Verbreitung hängt dem Single-Leben noch immer ein Geruch von ‚Mangel‘ an – kein Wunder in einer seit jeher auf Familie und Partnerschaft gründenden Kultur. Weihnachten als ‚Familienfest‘ läßt Millionen Singles außen vor. Moderne Kommunikationsmittel zielen zwar stark auf die Jugendkultur und den Austausch in großen Netzwerken ab, die Reisebranche hat Singles jeden Alters als Kunden entdeckt (sie zeigen, daß nach dem Aufbrechen der tradierten Lebenskonzepte in den 70er Jahren Single-Leben gesellschaftsfähig geworden ist) - dennoch suchen Jung und Alt nach der Traumpartnerin (dem Traumpartner) und Internetbörsen verdienen an Millionen von Mitgliedern, die häufig gleich mehrfach ‚verlinkt‘ sind.  
 
Es macht einen großen Unterschied, ob der Status als Single freiwillig, vorübergehend und altersentsprechend erlebt wird, ob jemand eine ‚Wahl‘ hat oder sich als hineingezwungen erlebt. Junge Menschen tun sich leichter, ebenso Menschen mit Selbstentfaltungswünschen und Vorerfahrungen in solcher Art Autonomie. Sogenannte ‚Ressourcen‘ spielen eine enorme Rolle.
 
Single-Leben ist eine Lebensform mit ganz eigenen Vorzügen und ebensolchen Nachteilen. Sie hat große Freiheiten zu bieten, also Reize, die Partnerschaft und Familie weniger aufzuweisen haben. Aber nur wer diese Chancen sieht und nutzt, wird keinen ‚Mangel‘ erleben, nicht heimlich auf Paare schielen und auf die baldige Veränderung seines Status hoffen. Leben in einer Partnerschaft oder Familie hat andere Qualitäten: Zugehörigkeit, Geborgenheit, vielleicht Kinder, auf jeden Fall häufiger gemeinsames Erleben und Teilen, geteilte Verantwortung, Intimität und Identität, halt ein ‚Wir-Gefühl‘. Leben als Single dagegen punktet mit mehr Flexibilität, mehr Autonomie, oft mehr Nähe zu sich selbst und auch mehr Selbstbewußtsein, denn die Verantwortung liegt nur auf einem Paar Schultern und benötigt große Eigenständigkeit. Mit den Fähigkeiten wächst oft auch das Selbstvertrauen. 
 
Dreh- und Angelpunkt ist die Freiwilligkeit. Aus ihr entspringt eine positiv-kreative statt einer niederdrückend-lähmenden Haltung. Das eigene psychische Erleben ist in gewisser Weise ‚nackter‘ als in einer Lebensgemeinschaft: Man ist unmittelbar mit sich selbst konfrontiert. Wer am Wochenende keine Planung hat, wer nicht rechtzeitig für Freude, Aktivitäten und Austausch mit anderen sorgt, den erwarten schnell Stillstand, Langeweile oder Einsamkeit. 
 
Schwierig ist oft der der Übergang in das Single-Leben, wenn an seinem Anfang eine Trennung oder ein anderer Verlust stehen. Die neue Lebensform wurde nicht ‚gewählt‘, sondern ist eine Notlösung, aus der sich wieder zu befreien das höchste Gebot erscheint. Schnell entwickelt sich eine Spirale aus negativ gefärbten Gedanken und Gefühlen, die zum weiteren sozialen Rückzug oder zur hektischen Suche in (Internet-)Netzwerken verleitet. Wer einsam und scheinbar vergessen in seiner Wohnung hockt, der verliert schnell mit jedem Tag an Lebenskraft. Die Anregung zur Auseinandersetzung, zur Bewegung, die durch andere Menschen im direkten Umfeld kommt, fehlt. Die Uhr scheint oft langsamer als sonst zu ticken. Andererseits: Wer sich bewußt für eine längere Single-Zeit entscheidet, um innere Prozesse zu vollziehen und zu mehr Autonomie zu gelangen, kann darin auch gute Startbedingungen finden. 
 
Single-Leben will ‚gelernt‘ werden. Erst durch Ausprobieren und Erfahrung wachsen Erkenntnisse, wo genau die eigenen Bedürfnisse liegen und wie diese am besten zu erfüllen sind. Es dauert eine Weile und benötigt Offenheit und Kreativität, bis ein soziales Netz aufgebaut ist und eine Vielzahl von Aktivitäten entwickelt wurden, die tragen. Allein in ein Café oder ins Kino zu gehen bedeutet für viele erst einmal Unwohlsein. Als Single fühlt man sich unter Paaren anfangs wie ein ‚drittes Rad am Wagen‘ und der alte Bekanntenkreis erwartet in der Freizeit weiterhin gute Laune und Spritzigkeit. So kann man sich unter vielen Menschen einsam fühlen. Wirklich gute Freunde und andere Singles werden nun zum Segen. Nach einer Weile wird manche/r feststellen, daß Singles sich ebenso gegenseitig anziehen und ‚finden‘ wie Paare oder Familien. Sie bilden eine eigene Gruppe in der Gesellschaft, gestalten nicht nur Freizeit zusammen, sondern teilen auch ‚Freud und Leid‘, unterstützen sich in der Not und haben ein offenes Ohr für die Gedanken, die beim Alleinsein ins Bewußtsein aufsteigen. 
 
Daß Dauer-Singles zu Egoismus oder Schrulligkeit neigen würden, ist ein übles und pauschalisierendes Vorurteil. Im Gegenteil: Es braucht erhebliches soziales Geschick und umsichtiges Planen, einen Freundeskreis zu pflegen und einen Lebenssinn jenseits von familiärem Sozialstatus zu entwickeln. Erstaunlicherweise spielen große Altersunterschiede, Herkunft oder Geld dabei oft kaum eine Rolle.
Vielmehr habe alle gemeinsam, daß Singles bestimmte Aufgaben eigenständig zu meistern haben: 
 

  • Alltag: Zeitplanung für Werktage und Wochenendtage (besonders bei nicht berufstätigem Leben), gute Selbstversorgung (Eikaufen und Essenszubereitung,  Haushaltsführung, Regelung von Finanzen und ‚Papierkram‘, Sorge für Auto, Wohnung etc.)
  • Soziale Kontakte: einen verläßlichen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen und unterhalten, gemeinsames Tun ermöglichen, Freude und Kummer teilen, Nähe und Geborgenheit erleben (auch Haustiere können kostbare Freunde sein)
  • Selbstfürsorge: Gesundheitsfürsorge, körperliches und psychisches Wohlbefinden
  • Freizeit: Interessen und Ziele entwickeln, für Highlights und Abwechslung sorgen, Urlaub und Feiertage gestalten, allzu viel Routine und Nachlässigkeit verhindern 
  • Identität und Sinn: mit sich selbst und dieser Lebensform in Frieden leben, lernen, an sich als Persönlichkeit weiter zu arbeiten, bewußt eine eigene Philosopie entwickeln und sinnvoll aktiv sein


In der Qualität des Alleinlebens spiegelt sich direkt, ob wir uns selbst ‚die beste Freundin‘ ('der beste Freund') sind. Selbstliebe ist das Ergebnis eines manchmal langen inneren Selbstfindungsprozesses. Danach sind allerdings die Ansprüche an Authentizität und Intensität so hoch, daß sich eine ‚zweitklassige Partnerschaft‘ geradezu verbietet. Neben allen Freizeitangeboten und Alltagsstrategien liegen die größten Ressourcen also in der Weise, wie ein Mensch mit sich selbst umgeht: freundlich, aufmerksam, ehrlich, fair oder eben niedermachend, taub und ängstlich. Von lat. resurgere bedeutet ‚Ressource‘ so viel wie ‚Mittel‘ oder ‚Quelle‘. Darunter werden Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, eine geistige Haltung und vielfältige andere Qualitäten des Lebens verstanden, die uns stärker machen. Sogar kraftspendende Lebenserfahrungen wie eine schon früher einmal bewältigte Lebenskrise wirken sich positiv aus. Ein sattes finanzielles Polster, der berufliche Status oder ‚Vitamin B‘ können das ergänzen, doch kaum ersetzen. 

 
Das ‚innere Kind‘
ist ein Begriff aus der Selbsthilfe und der Psychotherapie. In jedem Menschen, der heranwächst und erwachsen wird, lebt das Kind, das er einmal war, weiter – bis zum Lebensende. Wie die Jahresringe eines Baumes in ihm weiter existieren, so auch die verschiedenen Altersstufen in einem Menschen. Und wie beim Baum sind die unsichtbaren ‚Jahresringe‘ der Bausatz für die Stärke des Stammes, zeigen aber auch, ob der Baum gute oder schlechte Jahre erlebt hat.
 
Alle seelische ‚Nahrung‘, die wir von Geburt an bekamen, hat sich ausgewirkt auf das ‚innere Kind‘. Gute Bedingungen ergeben ‚satte‘ Erinnerungen und leichtlebige Lebensstrategien, magere Bedingungen entsprechend Erinnerungen und Lebensstrategien geprägt von Mangel. Das ‚innere Kind‘ zeigt auch in späteren Jahren wie die ersten waren: wunderschöne Seiten wie Neugier, Spielen, Mitfühlen, das Sanfte und das Wilde. Wenn wir aber eher wie ein Baum in Dürrejahren oder mit Stürmen und Feuersbrünsten aufwuchsen, hat auch unser ‚inneres Kind‘ seine Narben, seine Verletzlichkeiten und seinen ungestillten Hunger und zeigt dies bis heute.

Wenn wir etwas Schönes erleben, wenn wir uns selbst positive Wertschätzung geben und uns mit freundlichen zugewandten Menschen umgeben, dann bekommt das ‚innere Kind‘ in uns Nahrung und es wird fröhlicher, sicherer und zuversichtlicher. Wenn wir es unterdrücken, ablehnen oder vergessen, dann hungert das ‚innere Kind‘. Dann zeigt es sich bedürftig und leidet beim Alleinsein unter Einsamkeit. Es braucht manchmal so dringend Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit, daß es danach schreit.
 
Eric Berne hat in der „Transaktionsanalyse“ die Grundbedürfnisse des ‚inneren Kindes‘ in ‚aktive‘ und ‚passive‘ unterteilt. Im ersten Bereich sind dies vor allem spielen, sich ausprobieren, lernen, etwas erschaffen, Lob bekommen, Vorbilder und seinen Platz in einer Gemeinschaft haben, mit anderen Menschen in einem positiven Sinne interagieren. Zu den eher ‚bedürftigen‘ Seiten des Kindes gehören Willkommen geheißen werden, Liebe, Geborgenheit und Wärme und Schutz erhalten, in seinen emotionalen und körperlichen Bedürfnissen versorgt werden. Stellen Sie sich einmal den paradiesischen Zustand vor, wenn all diese Bedürfnisse regelmäßig erfüllt wären, so daß wir uns vollkommen ‚gefüllt‘ und ‚satt‘ fühlen könnten! Leider ist das selten der Fall.
 
Der später erwachsene Teil der Persönlichkeit (der ‚innere Erwachsene‘) lernt von seinen Vorbildern in der Kindheit und Jugend, wie er einmal mit sich selbst umgehen soll: wirkliche Zuwendung oder abgespeist werden mit Geld, liebevolle Offenheit und Fürsorge oder karge Erziehung nur mit dem Nötigsten, sich grundsätzlich geliebt fühlen oder Zuwendung nur gegen Leistung. Wer sich selbst mit viel Disziplin ständig ‚im Griff‘ hat, der hat gelernt, das ‚innere Kind‘ hinter einer Art Mauer einzusperren. Fast nichts dringt mehr nach außen oder von außen ins Innere. Der Mensch wird starr.
 
Kein Wunder in einer Gesellschaft, die über Generationen hinweg durch Kriege, Notzeiten, Drill, Anpassung und höchste Arbeitsmoral geprägt war. Viele Eltern der Kriegs- und Nachkriegsgeneration konnten kaum vermitteln, was ihnen selbst massiv gefehlt hat. Spätestens Heranwachsende müssen sich anhören, daß sie neben ihren Bedürfnissen auch Pflichten und Verantwortung haben und Verzicht zum Leben dazu gehöre. So wurden Männer bis vor wenigen Jahren auf zielorientiert und ‚erfolgreich‘ gepolt, konkurrierend und stets ‚kühl über den Dingen stehend ‘. Frauen ging es nicht besser, nur mit anderen heren Idealen wurde von ihnen das Funktionieren in ihren Rollen gefordert.
 
Dabei wird häufig das ‚innere Kind‘ vergessen oder auf einen Restplatz in der Freizeit verwiesen. Je weniger ein Mensch diesen Teil seiner inneren Fülle lebt, desto freudloser wird sich sein Lebensgefühl entwickeln. Diese ‚inneren Kinder‘ grämen sich, manche verbittern und entwickeln Neid oder sie trauern und werden depressiv. Allzu gern will dann der erwachsene Teil in der Person (der ‚innere Erwachsene‘) das Kind zum Schweigen bringen. Beliebte Strategien sind TV, Alkohol, Essen, ständige Arbeit, Aktionismus oder immer neue Luxusgüter, die zur Befriedigung gekauft werden und doch so bald wieder verblassen. Oft suchen Menschen auch nach anderen Menschen, die doch das ‚innere Kind‘ für sie füttern mögen mit Aufmerksamkeit, Lob, Unterhaltung, die es füttern mit Essen und Liebe. Dieser Mensch wird abhängig. Und er wird wütend, wenn andere sich eben nicht genug kümmern. In gewisser Weise ist das verständlich.
 
Es ist kein ursächliches Problem des Single-Daseins, sondern ein gesellschaftsübergreifendes. Auch in Familien oder Partnerschaften liegt manches im Argen und werden nie alle Bedürfnisse erfüllt. Oft sogar kommt ein Mitglied in einer Gemeinschaft zu kurz, weil immer die anderen ‚zuerst dran sind‘ oder weil chronische Konflikte Nähe und Geborgenheit verhindern. Nur fällt es dem Single stärker auf, wenn die Selbstliebe Lücken hat und das ‚innere Kind‘ darbt. Diese Engpässe melden sich besonders gerne während der Zeiten, in denen andere ihre Gemeinschaft zelebrieren. Und die Werbeindustrie tut ein Übriges, Weihnachten, Wochenenden und Urlaube zu ‚Familienereignissen‘ zu erklären. So verdient sie sowohl am ‚Luxus‘ der einen Seite wie am ‚Mangelerleben‘ der anderen.
 
Dieses Ungleichgewicht mit allerbester Selbstfürsorge und vorausschauender Planung auszugleichen ist die ‘ heilige‘ Aufgabe des ‚inneren Erwachsenen‘. Single-Leben bietet reichlich Freiraum dafür, sich dieser Aufgabe ausführlich zu widmen. Dazu müßten wir sie aber begrüßen, auch wenn das ‚innere Kind‘ sich über angenehme Gefühle oder plötzliche Impulse meldet. Das kann ein rascher Gefühlswechsel sein, ein ‚Hunger‘, den wir verspüren oder aber ein Bedürfnis nach Rückzug und Wärme, eine tiefe Wut oder die Erinnerung an früher erlebtes Leid. Denn das ‚innere Kind‘ spürt sehr genau, welchen Stellenwert es bei dem ‚inneren Erwachsenen‘ hat. Wer ständig zu anderen ‚ja‘ sagt und ihnen alles recht macht, der sagt damit oft zu sich selbst ‚nein‘. Wer mit sich selbst ‚Verabredungen‘ trifft und diese dann für die Interessen anderer verwirft, der stellt sich selbst in die letzte Reihe. Und manchmal braucht das ‚innere Kind‘ eine extra Portion Zuwendung, für die ein anderer Plan für den Abend weichen muß. Wer sein eigenes ‚inneres Kind‘ mit ganzen Herzen sozusagen adoptiert, der gibt ihm Sicherheit und zeigt seine Bereitschaft, es zu schützen und zu versorgen, egal was kommt. Dieses Kind wird ruhiger und zuversichtlicher. 
 
Eine nachhaltige Strategie, um sich selbst wieder zu er-fühlen und zu er-füllen ist: Eine kleine Freude für sich selbst jeden Tag. Dinge mit wenig Aufwand, aber großer Wirkung: Naturerlebnisse, Spielen, Malen, Tanzen, Trommeln oder auch Badewanne mit Kerzen, Decke und heißer Kakao, für sich selbst liebevoll kochen oder sanfte Musik hören. Die oben beschriebene ‚Rüstung‘ wird durchlässiger. Das ‚Kind‘ fängt an, sich selbst wieder zu vergnügen, das können Kinder nämlich gut. Wer leibliche kleine Kinder oder Enkel hat, kann mit ihnen viel Spaß haben. Manchem verhilft ein eigenes Haustier zu dem wichtigen Miteinander, auch die Beschäftigung mit Pflanzen oder anderen natürlichen Elementen. Es zählt dabei nicht Können oder Ansehen, einzig allein die eigene Freude, Beruhigung oder Inspiration. „Nutze die Talente, die du hast. Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen“  (Henry van Dyke).

Auch Achtsamkeitsübungen (z. B. MBSR-Ansätze) verhelfen zu dieser bejahenden Selbstannahme und befreien von mißtrauischer Selbstbeäugung und betonschwerer Selbstverachtung. Sie machen feinsinnig, leichtlebig und energievoll, ohne dafür etwas 'tun' zu müssen. Vielmehr geht es darum, sich gerade nicht mehr so anzustrengen und mit Gewalt etwas erreichen zu wollen, was am leichtesten von allein kommt, wenn wir es nicht mehr durch falsche Strategien selbst verhindern.  
 
„Liebe den anderen wie dich selbst“ impliziert, doch erst einmal sich selbst lieben zu lernen. Solche Selbstfürsorge (für-sich-selbst-sorgen) ist keineswegs Egoismus, es ist praktizierte Genesung. Wer sich innere Fülle wieder ermöglicht, kann aus dieser Fülle heraus auch andere lieben und sich verschenken. Solche Menschen sind zwar für andere manchmal etwas unbequem, weil sie eine eigene Meinung darüber haben, was für sie Lebensqualität bedeutet, aber sie haben die ‚Quelle des Glücklichseins‘ in sich selbst (wieder) entdeckt. Mit der eigenen neuen Fülle werden wir automatisch attraktiver für andere, aber noch wichtiger ist, daß wir uns selbst als erfrischt erleben. Manchmal so sehr, daß es nicht mehr so wichtig ist, was andere von uns denken, weil wir mit dem neuen Erleben beschäftigt sind. Durch größere emotionale Autonomie sind wir weniger anfällig für die Manipulationen anderer und haben es nicht nötig, andere zu manipulieren. Das heißt aber auch, sich mit den vielleicht im Alleinsein auftauchenden ‚Leichen im Keller‘ auseinander zu setzen. Dazu können eine Psychotherapie oder eine Selbsthilfegruppe wertvolle oder sogar notwendige Begleitung auf dem Weg sein. Erst wer Frieden in sich und mit sich selbst geschaffen hat, ist tief friedensfähig im Zusammensein mit anderen. 
 
Klar, gegen eine neue verheißungsvolle Partnerschaft haben diese Empfehlungen schnell schlechte Karten, denn Verliebtheit kommt wie ein Geschenk zur Tür hereinspaziert. Sein inneres Verlebendigen selbst in die Hand zu nehmen benötigt eine bewußte Lebenspraxis und Geduld, bis sich langsam inneres Sattsein einstellt. Aber dafür wirkt es nachhaltig - es geht nicht mehr verloren und macht ziemlich krisenstabil. Wer sich auf dem ‚freien Ozean‘ bewährt hat, der wird auch selbstbewußt (sich seiner selbst bewußt) bleiben, wenn er wieder in den ‚Hafen‘ einer Partnerschaft einfährt. Zwei Menschen, die ihre eigene ‚Quelle‘ in sich entdeckt haben, können sich gegenseitig beschenken, statt in der üblichen ‘Arbeitsteilung‘ der Gefahr ausgesetzt zu sein, voneinander lebenspraktisch oder emotional abhängig zu werden. Das Modell heißt: 1 + 1 = 3 statt 1/2 + 1/2 = 1. Der Gewinn entsteht dann, wenn jeder genug für sich selbst und zusätzlich viel zu verschenken hat.
 
In einer liebevollen Partnerschaft gibt es schöne Geschenke: Zärtlichkeit, Sexualität, tiefes Vertrauen und das gemeinsame ‚Wir‘. Leider auch das Risiko, sich gegenseitig weh zu tun oder wieder zu verlieren. Es kann eben nicht ‚alles‘ geteilt werden und nicht alles wieder in Ordnung gebracht werden. Je autarker ein Mensch ist, desto weniger ist er ‚bedürftig‘. Und desto mehr Freiheit und Freiräume kann er einem anderen Menschen lassen, ohne darunter zu leiden. Genauso umgekehrt: Desto mehr Freiräume wünscht er für sich selbst. „Liebe ist ein Kind der Freiheit“ meint also lieber weniger Gemeinsames, dafür freiwillig und intensiv, als von Pflichtgefühl aufgenötigt und in Routine verödet. So sind viele Paare nach konfliktreichen Zeiten zu neuen Lösungen gekommen: Teilpartnerschaft als Mischform mit zeitweiligem Single-Dasein oder offene Partnerschaft mit größeren Freiräumen, zwei getrennte Wohnungen oder eine Lebensgemeinschaften mit Freunden. Und vor allem Zeit für die Hinwendung zum eigenen ‚innere Kind‘. 
 
Ein leibliches Kind solcher selbst-fürsorglicher Eltern hätte viel gewonnen: zwei lebendige Vorbilder, die jede/r für sich stehen und dennoch eng kooperieren. Unsere Welt ändert sich, die alten Modelle funktionieren als Standardmaß nicht mehr. Was können wir Kindern heute Besseres geben als die Fähigkeit, sowohl als Single wie als Partner ihr volles Potential an Lebensglück zu leben?